Hêvî macht Hoffnung. Fachtagung in der Ravensberger Spinnerei.

von Ralph Lauhoff-Baker

150 Gäste aus ganz Deutschland informierten sich am Donnerstag vergangener Woche in der Ravensberger Spinnerei über Ergebnisse und Lehren aus dem Bielefelder Modellprojekt Hêvî. Expertinnen, Projektbeteiligte und Teilnehmerinnen berichteten über die Situation Geflüchteter in ihren Herkunftsländern, die traumatischen Folgen ihrer Flucht und auf welchem Wege sie trotz großer Schwierigkeiten in Deutschland Fuß fassen können.

Die Fernsehjournalistin Brigitte Büscher führte engagiert und mit viel Empathie durch die Veranstaltung im Historischen Saal. Die Tagungsbesucher erlebten eine emotionale wie faktenreiche Beschreibung dessen, was hinter den Teilnehmenden des Projektes Hêvî liegt, welche Herausforderungen ihre Arbeitsmarktintegration bedeutet und was sich aus den Erfolgsgeschichten der vergangenen zwei Jahre lernen lässt.

Hêvî bedeutet „Hoffnung“. Der Sozialdezernent der Stadt Bielefeld, Ingo Nürnberger beschrieb zum Auftakt, weshalb das Projekt ins Leben gerufen und vom Land Nordrhein-Westfalen mit 2 Mio € gefördert wurde. Denn obwohl Bielefeld schon immer gut darin gewesen sei, Neubürgerinnen und –bürger zu integrieren, gibt eine größer werdende Personengruppe, der es auch nach Jahren nicht gelungen ist, in der hiesigen Gesellschaft und dem Arbeitsmarkt anzukommen. In Bielefeld sind mittlerweile ca. 4.500 Geflüchtete von Langzeitarbeitslosigkeit betroffen. Mit Hêvî haben das Jobcenter Arbeitplus, die Regionale Personalentwicklungsgesellschaft REGE, die Psychologische Frauenberatung Bielefeld e.V. und die von Bodelschwinghschen Stiftungen proWerk neue Ansätze gefunden, diese Perspektivlosigkeit aufzubrechen und neue Chancen zu eröffnen.

Bielefeld ist mit den Erfahrungen verfestigter Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern nicht allein - so erklärt sich das große Interesse an der Veranstaltung und den Projektergebnissen: Geflüchtete mit geringen Qualifikationen und traumatischen Fluchterfahrungen bleiben meist langfristig von gesellschaftlicher Teilhabe und dem Arbeitsmarkt ausgeschlossen.

In Bielefeld sind es vor allem Mitglieder der yezidischen Glaubensgemeinschaft aus dem Nordirak, die unter der Schreckensherrschaft des IS Mord, Gewalt und Vertreibung erlebt haben. Die Journalistin Düzen Tekkal beschrieb eindringlich das Leid versklavter yezidischer Mädchen und Frauen aber auch ihre Hoffnung auf Freiheit und ein besseres Leben. Ein kurzer Ausschnitt aus ihrem Film „Jiyan – Schrei nach Leben“ führte den Anwesenden deutlich vor Augen, welche Folgen der Terror von Krieg und islamistischer Verfolgung hat.

Dr. Andrea Möllering, Chefärztin der Klinik für Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin im Evangelischen Klinikum Bethel, erklärte im Anschluss wie solche Traumatisierungen wirken, wie man sie erkennen kann und welcher Behandlung sie bedürfen. Für die anwesenden Arbeitsmarktexpertinnen und –expertinnen wichtige Fragen, da sie in zunehmenden Maße durch Kriegsfolgen traumatisierte Menschen beraten und ihnen trotz ihrer Belastungen weiterführende Angebote machen wollen.

Während der Vormittag der Veranstaltung einer Bestandsaufnahme und der Beschreibung der aktuellen Herausforderungen diente, ging aus nach der Mittagspause um Ergebnisse und Erkenntnisse aus zwei Jahren Projekt Hêvî und wie die erfolgreiche Arbeit nach Auslaufen der Förderung durch das Land aus Eingliederungsmitteln des Jobcenters und mit Unterstützung der Stadt Bielefeld verstetigt werden kann.

Rainer Radloff, Geschäftsführer der Jobcenters Arbeitplus Bielefeld, konnte „Wirkhebel“ benennen, die an den vier großen Herausforderungen bei der Integration langzeitarbeitsloser Geflüchteter ansetzen. Diese sind der Spracherwerb, der Umgang mit traumatischen Erfahrungen, die Steigerung von Bildung und Bildungsfähigkeit sowie die Auseinandersetzung mit abweichenden Haltungen und Erwartungen in Herkunfts- und Aufnahmegesellschaft.

In allen Fällen ist es notwendig über bestehende Angebote hinaus zu denken, die Hilfesysteme verschiedener Rechtskreise zu verbinden, die Zielgruppe einzubeziehen und Lernschleifen in das Projekt einzubauen. So konnten ganz konkrete Erkenntnisse gewonnen werden, z.B. dass Sprachförderung und Bildungsangebote noch viel stärker auf die Menschen abgestimmt werden müssen, die zu einem großen Teil nie gelernt haben, Wissen so zu erwerben, wie wir es in Deutschland gewohnt sind. Dass Mitarbeitende in traumasensibler Beratung geschult und durch interne Gruppenangebote Entlastung erfahren müssen. Und dass Menschen, die aus Diktaturen und archaischen Gesellschaften nach Deutschland kommen, viel mehr über das Wesen unserer Solidargesellschaft und die Notwendigkeit der Partizipation daran erfahren müssen.

Wie Integration dann auch noch nach Jahren gelingen kann, schilderten vier Projektteilnehmerinnen anschließend anhand ihrer Erfolgsgeschichten. Unter ihnen eine junge Frau, die mittlerweile das Familieneinkommen erwirtschaftet, während der Ehemann sich um Haushalt und Kinder kümmert. Ein selbst für die deutsche Aufnahmegesellschaft noch immer nicht alltägliches Modell. Eine andere Teilnehmerin schult zu Busfahrerin um. Alle Befragten eint der Dank, dass sich die engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Projektbeteiligten ihrer Sorgen und Wünsche angenommen haben.

Der Leiter des Projektes Hêvi, Markus Link, konnte diese Aussagen anhand der Evaluation der Universität Bielefeld bestätigen. So erlebten die Teilnehmenden eine Verbesserung ihrer Lebenssituation, sie konnten ihre Probleme verringern und ihren Alltag erleichtern. Arbeit genießt für die Beteiligten eine hohe Bedeutung. Gleichwohl kann ein Projekt wie Hêvî nicht alle Probleme und Sorgen lösen. Dafür ist sowohl das Ausmaß der Belastungen und Herausforderungen zu groß als auch der bisherige Zeitraum des lernenden Projektes mit zwei Jahren zu kurz.

Die Podiumsdiskussion am Ende der Fachtagung war dennoch von Zuversicht geprägt. Düzen Tekkal, Stefan Kulozik, Ingo Nürnberger, Torsten Withake, Michael Sternberg und Rainer Radloff diskutierten die Frage, wie Arbeits- und Sozialpolitik abgestimmt sein müssen, damit die soziale und berufliche Integration von Langzeitbeziehenden mit Fluchterfahrung erfolgreich ist.

Frau Tekkal lobte Hêvî als sensationelles Beispiel für Willkommenskultur und Engagement und betonte gleichzeitig die Notwendigkeit für Zuwanderer sich hier einzubringen.

Stefan Kulozik von Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW erklärte, dass sich die Projektförderung für das Land „echt gelohnt“ habe. Angesichts der aktuellen Herausforderungen sei keine Zeit mehr für Modelle – mit Projekten wie Hêvî könnte hingegen in Echtzeit gelernt werden.

Torsten Withake von der Regionaldirektion NRW der Bundesagentur für Arbeit versprach, dass die Unterstützung durch zusätzliche personelle Ressourcen auch im Jahr 2019 weiterhin gegeben ist.

Michael Sternberg vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge betonte die Notwendigkeit einer individuellen Beratung und Förderung. Neue Sprachkursangebote sollen im kommenden Jahr gerade ein niedrigschwelliges Angebot für Frauen bilden.

Rainer Radloff erklärte den Projekterfolg neben dem Engagement seiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit dem regelmäßigen und guten Austausch mit den Ministerien und der Regionaldirektion. Bei allen Partnern herrschte immer „eine große Neugier.“

Ingo Nürnberger nahm die Komplimente für die Arbeit in Bielefeld gern entgegen, sah vor allem die Verantwortung, jetzt nach Ende der Förderung die begonnene Aufgabe für die Menschen fortzuführen.

Die Gäste der Tagung konnten nach einer intensiven und bewegenden Veranstaltung die Zusicherung aller Akteure mit nach Hause nehmen, dass die erfolgreiche Arbeit des Projektes Hêvî fortgesetzt wird.