Teilhabechancengesetz: Jobcenter Arbeitplus Bielefeld bringt 600 langzeitarbeitslose Menschen in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.

von Ralph Lauhoff-Baker

Getränkeangebot im Foyer des Haus Neuland. vlnr.: Victoria Kran, Adriana Galek, Katja Timmermeister und Marc-Sebastian Alex

Das Teilhabechancengesetz wirkt. Besonders in Bielefeld. Das Jobcenter Arbeitplus setzt das Instrument seit 2019 sehr erfolgreich ein, um langzeitarbeitslose Menschen wieder langfristig in Beschäftigung zu bringen. Mehr als die Hälfte der Teilnehmenden sind auch nach dem Ende der Förderung in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Das ist deutlich mehr als in NRW oder im Bund.

Beim Teilhabechancengesetz spielen geförderte Beschäftigung, die Begleitung durch ein ganzheitliches Coaching und Weiterbildungsmöglichkeiten zusammen. Menschen, die bereits seit längerer Zeit nicht mehr auf dem ersten Arbeitsmarkt tätig waren, erhalten vor allem durch die Förderung der „Teilhabe am Arbeitsmarkt“ (§ 16i SGB II) eine realistische Chance auf eine nachhaltige Beschäftigungsaufnahme. Dabei hilft die Stabilisierung in Alltag und Beruf durch das begleitende Coaching.

Ein gutes Beispiel, wie das Instrument erfolgreich genutzt werden kann, gibt es im Haus Neuland. Viktoria Kran unterstützt im Bildungszentrum am Teutoburger Wald den Bereich Service. So trägt sie im Hintergrund dazu bei, dass die Seminar- und Tagungsgäste einen angenehmen Aufenthalt haben. Zu ihren Aufgaben gehören die Bestückung und der Sauberkeit der Kaffeelounge, das Herrichten des Restaurants vor und nach den Mahlzeiten, die Bereitstellung der Kaffeepausen in den Seminarräumen und die Reinigung des Geschirrs.

Die ausgebildete Textilreinigerin ist seit dem 15. Juli 2019 im Haus Neuland beschäftigt. Bevor die alleinerziehende Mutter ihre Tätigkeit im Bildungszentrum aufnahm, hatte sie als Haushaltshilfe und in einer Änderungsschneiderei gearbeitet, doch zuletzt war sie neun Jahre erwerbslos. Zum Haus Neuland ist sie über ein Job-Speeddating gekommen. Ihre Abteilungsleiterin, Katja Timmermeister, ist froh über ihre Wahl: „Frau Kran ist mittlerweile ein wichtiges Mitglied des Teams, wir würden uns sehr freuen, wenn sie bleibt!“

Und auch Frau Kran kann sich ihre berufliche Zukunft gut im Haus Neuland vorstellen. Herausforderungen wie den langen Weg zur Arbeit und die Organisation der Kinderbetreuung hat sie bewältigt, Anfang April ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden erhöht. Durch ihr Einkommen im Haus Neuland ist Frau Kran nun nicht mehr auf den ergänzenden Bezug von Arbeitslosengeld II angewiesen. „Ich geh gern zur Arbeit - auch, wenn es hier mal stressig zugeht, macht es mir Spaß“, sagt die 36Jährige, die in Spitzenzeiten mit ihren Kolleginnen bis zu 400 Besucher am Tag versorgt.

Eine große Unterstützung, sich in das große Team und in die neue Arbeitssituation einzufinden, ist das berufsbegleitende Coaching. Adriana Galek steht in regelmäßigem Kontakt mit Frau Kran. Besprochen werden alle kleinen und großen Herausforderungen des Alltags. „Mittlerweile ist ein Vertrauensverhältnis zwischen uns gewachsen und Frau Kran ruft einfach an, wenn es ein Problem gibt“, sagt die Mitarbeiterin des Jobcenters.

Die Förderung des Beschäftigungsverhältnisses lief zunächst für zwei Jahre und wurde dann noch einmal um drei Jahre verlängert – bis Mitte Juli 2024. Auch die Abteilungs- und Geschäftsleitung bewerten die Zusammenarbeit sehr positiv und sind daran interessiert, diese fortzusetzen, wenn die personellen Ressourcen und die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen eine Anschlussbeschäftigung im Sommer 2024 möglich machen.

Das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld nutzt das Teilhabechancengesetz als Angebot für Menschen, denen bereits seit längerer Zeit der Zugang zum ersten Arbeitsmarkt verwehrt ist – häufig aufgrund fehlender Qualifikationen. So haben 57% der Teilnehmenden keine abgeschlossene Berufsausbildung, der Großteil ist älter als 45 Jahre, ein Drittel über 55 Jahren. Besonders begehrt sind Tätigkeiten in den Bereichen Erziehung, Hauswirtschaft, Gebäudetechnik und Gartenbau.

Die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisse werden bis zu fünf Jahre mit einem abnehmenden Anteil gefördert. Zwei Drittel der Teilnehmenden benötigten sofort mit der Aufnahme der Beschäftigung keine finanzielle Unterstützung durch das Jobcenter mehr. In Bielefeld konnte zudem eine hohe Verbleibquote in Arbeit erreicht werden. Während in NRW der Anteil der Menschen, die auch nach Auslaufen der Förderung in Arbeit verbleiben bei 35% liegt (Bund 34,1%), waren die Integrationen des Jobcenters Bielefeld mit einer Quote von 53,5% besonders nachhaltig.

„Wir nutzen das Teilhabechancengesetz in Bielefeld noch intensiver als viele andere Jobcenter in Deutschland“, erklärt Marc-Sebastian Alex, stellvertretender Geschäftsführer des Jobcenters Arbeitplus Bielefeld. „Durch die lange Förderung haben nun auch die Menschen eine Chance dauerhaft in Arbeit zu kommen, die dafür länger brauchen, als unsere bisherigen Angebote ermöglicht haben.“

Der Erfolg des Teilhabechancengesetzes wurde nun durch eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) bestätigt. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wirbt aus diesem Grund für eine Entfristung des § 16i SGB II.

Das Haus Neuland

Haus Neuland ist ein Seminar- und Tagungszentrum im Bielefelder Süden, direkt am Teutoburger Wald gelegen. Pro Jahr nehmen mehr als 20.000 Gäste an unterschiedlichsten Veranstaltungen teil. Damit ist Haus Neuland eine der größten Einrichtungen der politischen und beruflichen Bildung bundesweit. Das Haus hat derzeit 61 Beschäftigte in den Bereichen Pädagogik, Verwaltung, Rezeption/Hotel, Service, Küche, Reinigung und Technik.

Ein Großteil der Bildungsangebote vom Haus Neuland wird gefördert durch das Weiterbildungsgesetz NRW, die Landeszentrale für politische Bildung NRW und den Europäischen Sozialfonds. Haus Neuland ist Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Demokratischer Bildungswerke e.V. (ADB), anerkannter Träger der Bundeszentrale für politische Bildung und Sitz der Geschäftsstelle der ADB. Haus Neuland ist zertifiziert im Rahmen des „Gütesiegel Weiterbildung“. Träger der Bildungsstätte ist der eingetragene Verein Haus Neuland e.V.

Das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld

Das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld ist der größte Arbeitsmarktakteur in OWL. Mit über 500 Mitarbeitenden setzt die Behörde die Grundsicherung SGB II in Bielefeld um. Aktuell gibt es in Bielefeld 33.000 Leistungsberechtigte in 16.800 Bedarfsgemeinschaften. Das Bielefelder Jobcenter erprobt in Modellprojekten immer wieder erfolgversprechende Förderansätze für besondere Zielgruppen wie Langzeitarbeitslose, Suchterkrankte und Menschen mit traumatischen Fluchterfahrungen.