Umbruch in der Grundsicherung.

von Ralph Lauhoff-Baker

Pandemie, Ukrainekrieg, Neuaufstellung und die Einführung des Bürgergeldes bedeuten neue Herausforderungen für das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld

Selten war das Jobcenter in Bielefeld so gefordert wie in diesen Tagen. Gerade hat die Behörde sich in einem aufwendigen Prozess neu und kundenorientierter aufgestellt. Noch läuft nicht alles rund, die neuen Bereiche müssen sich nach dem Ende der Corona-Beschränkungen erst auf das „neue Normal“ einstellen. In dieser Situation gibt es bereits zahlreiche neue Herausforderungen. Allein 1.300 Neuanträge haben ukrainische Geflüchtete bislang gestellt, die seit dem 1. Juni in der Grundsicherung betreut werden. Und schließlich steht die Umstellung auf das Bürgergeld an, welches zum 1.1.2023 das Arbeitslosengeld II ersetzt.

Die Corona-Pandemie hat spürbare Folgen hinterlassen – sowohl für die Mitarbeitenden als auch für Kundinnen und Kunden.

Wie alle öffentlichen Einrichtungen musste das Jobcenter den persönlichen Kontakt zu seinen Kundinnen und Kunden aufgrund der Corona-Lage in den vergangenen zwei Jahren stark einschränken. In vielen Fällen konnten die Beratung und Unterstützung telefonisch und per Video-Call - später auch in eingeschränkter persönlicher Beratung - erfolgreich fortgesetzt werden. Doch nicht alle Leistungsberechtigten sind mit den entsprechenden Endgeräten ausgestattet oder vertraut im Umgang mit digitaler Technik. Die Beraterinnen und Berater des Jobcenters intensivieren deshalb aktuell die persönliche Beratung mit den Leistungsberechtigten, deren Kontakt zur Behörde in der Pandemie stark eingeschränkt war.

Das Jobcenter selbst hat seinen Mitarbeitenden in den großen Corona-Wellen verstärkt die Arbeit im Homeoffice ermöglicht und die Arbeitszeiten flexibilisiert. Um die Arbeitsfähigkeit der Behörde sicherzustellen, die in Bielefeld über 34.000 Menschen betreut, wurden Teams temporär getrennt und Kontaktmöglichkeiten stark eingeschränkt.

„Wir bemerken im Austausch mit Trägern und Unternehmen, dass viele Organisationen gefordert sind, sich auf die jetzigen Veränderungen einzustellen und die Folgen der Pandemie zu verarbeiten. Häufig wurden in den letzten zwei Jahren die internen Abläufe erheblich umgestellt sowie neue Arbeitsformen wie Home Office und digitale Austauschformate etabliert. In unserem Falle müssen wir häufig auch die Beratungsbeziehung zu unseren Kundinnen und Kunden neu aufbauen und Probleme bearbeiten, die in der Coronazeit entstanden sind“, erklärt Rainer Radloff, Geschäftsführer des Jobcenters Arbeitplus Bielefeld.                                                                                                                                 

Die Betreuung der ukrainischen Geflüchteten in der Grundsicherung ist sinnvoll. Aber die schnelle Umstellung stellt die Jobcenter vor große Herausforderungen.                               

Seit dem 1. Juni 2022 werden Menschen, die aufgrund des Krieges in der Ukraine nach Deutschland geflüchtet sind, durch die Jobcenter betreut. Der Übergang aus dem Asylbewerber-Leistungsgesetz ist folgerichtig. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer möchten schnell Deutsch lernen und Arbeit aufnehmen. Das Jobcenter Arbeitplus Bielefeld ist mit seinem Team für Zugewanderte gut aufgestellt, um hier zielgerichtet zu unterstützen. Die hohe Zahl von neuen Anträgen – bis Ende Juni allein 1.300 – muss allerdings mit dem bestehenden Personal sowohl in den Geldleistungen wie auch im Beratungsbereich bewältigt werden. Die gesetzliche Umstellung wurde zudem unter hohem Zeitdruck vollzogen. Dem Wechsel des Sozialleistungsträgers stimmte der Bundesrat am 20. Mai zu – elf Tage später trat das Gesetz in Kraft und beauftragte die Jobcenter mit der umfangreichen neuen Aufgabe.

Neuorganisation: Das Jobcenter hat sich kundenfreundlich aufgestellt. Die neuen Strukturen und Prozesse wurden von Leistungsbeziehenden angeregt und von Mitarbeitenden entwickelt.

Ausgangspunkt der Umstrukturierung des Jobcenters hin zu mehr Serviceorientierung und einfacheren Prozessen war das IdeenCamp kurz vor dem ersten Corona-Lockdown. Kundinnen und Kunden sowie Träger und Verbände waren bei dieser Veranstaltung eingeladen, ihre Ideen für das Jobcenter der Zukunft einzubringen und dadurch die Behörde weiterzuentwickeln. Ausgehend von den Ergebnissen des IdeenCamps entwickelten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jobcenters in verschiedenen Projektgruppen die neuen Strukturen und Prozesse in der Organisation. Nach Zustimmung der Geschäftsführung konnte die Neuordnung Ende September 2021 in Kraft treten.

Die Organisationsentwicklung war jedoch stark von der Corona-Pandemie beeinflusst. Viele Neuerungen im Jobcenter Bielefeld - wie der Empfang von Leistungsberechtigten durch Lotsinnen und Lotsen oder auch die direkte Anliegensklärung durch den Kundenservice - können deshalb erst jetzt unter Normalbedingungen getestet werden.

Um die getroffenen Entscheidungen zur Neuaufstellung zu überprüfen und den Veränderungsprozess nachzusteuern, wurde ein Gremium mit Vertreterinnen und Vertretern aller Mitarbeitendengruppen im Haus eingerichtet. Über verschiedene Austauschformate und Feedbackschleifen werden die Beschäftigten beteiligt.

„Uns ist wichtig, dass alle Kolleginnen und Kollegen mit ihrer Meinung Gehör finden. Die letzten Jahre waren für uns alle eine große Herausforderung und nicht jeder ist mit den getroffenen Entscheidungen zufrieden. Umso wichtiger ist es, jetzt im Gespräch zu bleiben und gute, zukunftsfähige Lösungen für uns als Haus und für unsere Kundinnen und Kunden zu etablieren“, beschreibt Marc-Sebastian Alex, operativer Leiter des Jobcenters, die Bedeutung der eingerichteten Feedbackgruppe.

Das Bürgergeld kommt. Und will vorbereitet werden.

Mit Beginn des Jahres 2023 tritt das Bürgergeld an die Stelle des jetzigen Arbeitslosengeldes II. Mit der Reform gewinnt die Qualifizierung von Arbeitsuchenden an Bedeutung und der Grundsatz, nachdem die Vermittlung in Arbeit Vorrang hat, entfällt. Auch die dauerhafte Etablierung der Teilhabe am Arbeitsmarkt durch geförderte Beschäftigungsangebote erweitert die Möglichkeiten des Jobcenters, ihre Kundinnen und Kunden zielgerichtet zu unterstützen.

Auch die Ausgestaltung der Sanktionen gegenüber Leistungsberechtigten, die Termine nicht einhalten oder getroffene Vereinbarungen nicht einhalten, wird erst noch neu geregelt. Noch bis Mitte 2023 greift das sogenannte Sanktionsmoratorium, das die Konsequenzen nach versäumten Einladungen stark begrenzt. Die aktuell ungenauen Regelungen führen zu einer beträchtlichen Unsicherheit bei Kundinnen und Kunden wie bei Beratungskräften.

Kern des Bürgergeldes ist der Wunsch nach einer Beratung auf Augenhöhe, in der das Jobcenter die Rolle des sozialen (Beratungs)Dienstleisters hat und Kundinnen und Kunden souverän über ihre eigene berufliche Zukunft entscheiden.

Eine Entwicklung, die Rainer Radloff begrüßt: „Die Entwicklung hin zum Bürgergeld entspricht dem, was wir in unseren Neuorganisationsprozess auf den Weg gebracht haben. Wir haben in den vergangen Jahren schon intensiv an unserem Kundenbild und unserer Beratungshaltung gearbeitet. Das Verständnis, dass Kundinnen und Kunden eigenverantwortlich ihren beruflichen Weg gehen sollen und wir die Befähiger sind, die ihnen die Tür dazu öffnen, spiegelt sich auch darin wieder, dass wir in Bielefeld immer sehr wenig sanktioniert haben. Jetzt gilt es, auch mit dem Bürgergeld die Strukturen und Prozesse anzubieten, die uns zu einer guten sozialen Beratungsorganisation machen.“

Die Geschäftsführung des Jobcenters Arbeitplus Bielefeld ist zuversichtlich, dass dies trotz der hohen Belastungen der Mitarbeitenden in Haus gelingen wird.